Lebensraum Bongert und Artenschutz

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Die Kombination der Biotopkomponenten “Grünland” und “Baumbestand” bedingt ein hohes Angebot an verschiedenen Lebensräumen innerhalb der Bongerten. Unterschiedliche Ausprägungen des Grünlandes und der Obstbäume sowie etliche Sonderstrukturen erlauben die Ansiedlung verschiedenster Pflanzen- und Tierarten mit unterschiedlichen Ansprüchen. So sind je nach Bodenbedingungen und Nutzungsregime in den Bongerten Pflanzenarten der Magerrasen neben solchen der Feuchtwiesen zu finden. Offenlandtiere und Arten, deren Hauptverbreitungsgebiet in Wäldern liegt, treffen hier aufeinander. Das heterogene Angebot an Klein- und Kleinstlebensräumen macht die Bongerten als Dauer-, Teil- oder Durchwanderungslebensraum für ein breites Artenspektrum bedeutsam. Die Bongerten zählen deshalb zu den artenreichsten Lebensräumen Mitteleuropas. Hierbei ist nicht nur die hohe Artenzahl von Belang, vor allen Dingen geht es auch um das Vorkommen von spezialisierten Arten.

So ist beispielsweise eine große Zahl von Insekten auf Obstbäume angewiesen. Dazu gehören u.a. Blattwespen, Blattläuse, Käfer und Schmetterlinge (Klein- und Nachtschmetterlinge) sowie deren Larven. Zu dieser Gruppe von Tieren zählen auch eine Reihe von Schadinsekten, wie z.B. der Apfelwickler, der die Wurmstichigkeit beim Apfel verursacht oder der Apfelschalenwickler, dessen Larve Frassspuren auf der Schale des Apfels hinterlässt. Auch die Frostspannerraupe kann in verschiedenen Jahren alle Blüten –im schlimmsten Fall sogar alle Blätter- eines Baumes wegfressen. Wichtige Gegenspieler sind hier die Vögel.

 

Als weitere Gegenspieler dieser Schädlinge sind einige Parasiten wie z.B. Schlupf- und Erzwespen zu nennen. Alle Schlupfwespenarten sind Parasiten, die nur einen bestimmten Wirt befallen (z.B. Blattläuse, Gespinnstmotten, Puppen, Raupen, Schmetterlingseier vom Apfelwickler). Sie haben nur eine kurze Entwicklungszeit, so dass viele Generationen entstehen können. Sie überwintern als Larve in dem Wirtstier. Die Schlupfwespen, die Läuse parasitieren, schlüpfen im Frühjahr zur selben Zeit wie die Läuse und halten sie dadurch im Zaum. Der Förderung der Nützlinge (wie z.B. Schlupfwespen) kommt daher im Bongert eine besondere Rolle zu und ist mittlerlweile auch im biologischen Obtsbau ein Teil der Schädlingsbekämfungsstrategie.

Eine Anzahl von räuberisch lebenden Tieren lebt dauerhaft auf dem Obstbaum und stellt den hier lebenden Phytophagen (Insekten, die von Pflanzen leben) nach. Dazu gehören beispielsweise Käfer und deren räuberische Larven, Florfliegen- und Kamelhalsfliegenlarven.

Kein Leben ohne Sterben, das gilt auch im Bongert, in dem das Artenreichtum auch durch holzzersetzende Pilze und die daran gebundenen Organismen, z.B. holzzerstörende Käferlarven erhöht wird. Deswegen ist es auch wichtig, nicht alle alten Bäume oder sogar Baumruinen zu entfernen sondern sie als “Altholzinseln” stehen zu lassen. Besonders die Artenvielfalt der Vögel hängt dabei vor allem von der Altersmischung der Baumbestände ab, da die Vögel auf diese Nahrungsgrundlage aus Insekten in den verschiedenen Lebensstadien angewiesen sind.

Nun könnte der Gedanke aufkommen, die Aufgabe der Nutzung eines Bongerts würde der Artenvielfalt dienlich sein. Das Gegenteil ist der Fall: Ein vollständiges Brachfallen der Bongerten hat zwangsläufig eine Verarmung der Artenvielfalt und den Verlust bestimmter Lebensgemeinschaften zur Folge, der Bongert entwickelt sich dann auch zu einem Wald. Jedoch muss die Nutzung nach ökologischen Kriterien erfolgen, also ohne chemisch-synthetische Dünge- und Pflanzenschutzmittel.

 

DSCF5358-2Die Mistel - Schicksals-Pflanze des Obstbaumes

Eng mit dem Verschwinden der Bongerten verbunden ist die Mistel (Verbascum album), die viele Apfel- und Birnbäume (aber auch Pappel und Ahorn) auch im Winter grün erscheinen lässt. Oft  ist der Befall durch Mistel so stark, dass die Bäume in wenigen Jahren absterben. Es ist eines der Hauptprobleme in unseren Bongerten und selbst das recht aufwendige Herausschneiden der Misteln wird durch die rasche Wiederbesiedlung der Bäume meist zunichte gemacht. Da hilft nur mehr nachpflanzen!

Die Mistel wächst als Halbschmarotzer in den Baumkronen und über ihre 'Wurzeln' zapft sie die Leitungsbahnen der Bäume an. Sie hat immergrüne, eiförmige, ledrige Blätter und in ihren Blattachseln erscheinen im Frühjahr unscheinbare gelbe Blüten, aus denen dann die auffallend weißen und innen klebrigen Beeren entstehen. Vögel, insbesondere die Misteldrossel (Turdus viscivorus), die die Beeren fressen, scheiden die Samen wieder aus und sorgen somit für die Vermehrung in den Baumkronen.

Die Mistel enthält in ihren Blättern und Stängeln das Gift Viscotoxin. Das das Gift allerdings beim Verzehr nicht im Verdauungstrakt aufgenommen wird, kommen keine Vergiftungen durch Misteln vor. Die Heilwirkung der Mistel ist schon lange bekannt und sie wird zu medizinische Zwecken eingesetzt, wie z.B. zur Unterstützung des Blutdrucks und teilweise auch in der alternativen Krebstherapie.? Der botanische Gattungsname Viscum heißt soviel wie Vogelleim, da die Römer aus den klebrigen Beeren Leim herstellten. Der Artname album bedeutet weiß und bezieht sich auf die Farbe der Beeren.

 

Insekten

Die sehr grosse Tiergruppe der Insekten ist auch im Bongert in großer Individuen- und Artenzahl vertreten.

Als sehr auffällige Art spielt die Honigbiene bei der Bestäubung der Obstbäume eine herausragende Rolle. Durch die Überwinterung als komplettes Bienenvolk mit etwa 10.000 Einzelbienen sind sie in der Lage, den größten Teil der Bestäubungsleistung zu erbringen. Bei optimalen Witterungsbedingungen kann eine Biene pro Tag bis zu 3.000 Blüten besuchen und bestäuben, ein ganzes Volk bis zu 12.000.000! Da die Honigbienen blütenstet sind, also immer nur Blüten der gleichen Art besuchen, wird eine hohe Bestäubungsrate erreicht. Zudem werden Obstertrag und –qualität nachweislich gesteigert.

Auch die verschiedenen Hummelarten sind auf eine blütenreiche Landschaft angewiesen. Die Hummeln und auch andere Wildbienenarten ergänzen sich bei der Bestäubung wunderbar mit den Bienen, da sich auch schon bei niedrigeren Temperaturen fliegen als die Honigbiene und diese auch “vertreten”, dort wo es zu wenig Honigbienen gibt.

Auffälligster Obstwiesenschmetterling ist der Admiral. Wenn im Spätsommer und Frühherbst das Fallobst die Wiese bedeckt, sitzen manchmal Dutzende auf den faulenden Früchten und saugen, um für ihre Reise Energie aufzutanken. Denn der Admiral gehört zu den ziehenden Arten, die in der Regel in jedem Frühjahr wieder neu aus Südeuropa einwandern und gegen Oktober den Rückflug antreten.

Von den Wespen ist uns vor allem die manchmal lästig erscheinende Erdwespe als unangenehmen Gartenbewohner bekannt. Es gibt jedoch einige hundert Wespenarten in Europa, die wesentlich unauffälliger sind und die zudem nicht in einem Volk (Erdwespe, Hornisse), z.B. in einer Obstbaumhöhle oder Vogelnistkasten wohnen, sondern solitär leben. Das Weibchen versorgt ihre Brut alleine, es werden keine Arbeiterinnen herangezogen.

Hornissenvölker, welche bis zu einigen Hundert Tieren umfassen, werden jedes Jahr neu von einer einzigen Hornisse, der Königin, gegründet. Sie können stechen, tun dies jedoch nur zur Nest- und Selbstverteidigung und ihr Stich ist nicht gefährlicher als der anderer Insekten.

 

Amphibien und Reptilien

Mit ihrem kleinräumigen Wechsel aus besonnten und (halb-)schattigen, trockenen und feuchten Stellen, Holz- und Schnittgutlagerplätzen, Gras-/Staudenfluren und Gehölzen sind Streuobstwiesen auch wertvolle Sommer- und Überwinterungshabitate für Amphibien und Reptilien, darunter unter anderem Erdkröte, Grasfrosch, Blindschleiche und Waldeidechse.

 

Säugetiere

Von der reichhaltigen Flora und Fauna und den allgemein guten Bedingungen zur Aufzucht von Jungtieren in brüchigen, mit Höhlen durchsetzten Altbäumen profitieren auch zahlreiche Säugerarten.

Fledermäuse

Oft denken Naturschützer beim Bongertenschutz an den Erhalt von Nistmöglichkeiten für bedrohte Vögel. Dabei ist eine Reihe sehr bedrohter Fledermausarten auf die Bongerten als überlebenswichtigen Lebensraum angewiesen. Fledermäuse nutzen Obstwiesen überwiegend als Jagdgebiet, manche Arten jedoch, wie das Braune Langohr (Plecotus auritus), brauchen Obstbäume mit Höhlen als Wochenstubenquartier für die Aufzucht der Jungtiere. Andere Arten wie die Wimperfledermaus (Myotis emarginatus) nutzen Baumhöhlen in Obstwiesen als Tagesquartier. Das Überleben einiger vom Aussterben bedrohten Arten wie der Grossen Hufeisennase (Rhinolophus ferrumequinum) oder der Wimperfledermaus, wird bei uns nur über den Schutz und die Neuanlage von Hochstammobstwiesen in den Jagdgebieten um die Wochenstubenquartiere zu erreichen sein. Wie jüngst durch Untersuchungen in Luxemburg festgestellt werden konnte, verlegt z.B. ebenfalls die Bechsteinfledermaus (Myotis bechsteinii), eine Zeigerart naturnaher Wälder, im Spätsommer ihr Jagdrevier in waldnahe Streuobstwiesenbestände.

Der Gartenschläfer (Eliomys quercinus) fühlt sich besonders wohl in Obstgärten mit reichem Angebot an Trockenmauern. Wurde der Gartenschläfer früher als vermeintlicher Obstschädling (daher der luxemburgische Name „Uebstrat“) verfolgt, so ernährt er sich vorwiegend von tierischer Kost: Weichtiere bis Kleinsäuger, und spielt somit eine wichtige Rolle als Vertilger von Ertrag verringernden Tieren. Eine andere Bilchart, der Siebenschläfer (Glis glis), bevorzugt u.a. alte, ungepflegt Obstgärten. Hier findet er Baumhöhlen für die Tagesruhe, Früchte und Kleintiere für die Nahrung. Beide Arten sind vom Naturschutzgesetz geschützt und befinden sich auf der Roten Liste für bedrohte Arten.

Andere, typische Kulturfolger einer strukturreichen, halboffenen Landschaft sind, Mauswiesel (Mustela nivalis), Igel (Erinaceus europaeus), Feldmaus (Microtus arvalis), Feldhase (Lepus europaeus).

 

Vögel

Für viele europäische Vogelarten sind alte Streuobstbestände durch ihren Höhlen- und Totholzreichtum die idealen Brutstätten. Ihre Nahrungsgrundlage sind die Gliederfüßer wie etwa Spinnen, Insekten oder Tausendfüßer, die im Bongert häufig sind, sowie kleine Wirbeltiere.Der Steinkauz ist in hohem Ma?e an Bongerte als Lebensraum gebunden. Obstbaumhöhlen dienen ihm als Niststätte, das Grünland als Jagdrevier.

Indikatorarten für die ökologische Wertigkeit sind beispielsweise der Steinkauz (Athene noctua) und der Wendehals (Jynx torquilla). Steinkäuze lieben offene und ebene Kulturlandschaften vor allem, wenn Dauergrünland mit Baumreihen oder Baumgruppen vorhanden sind. Besonders hohle Kopfweiden und alte Obstbäume bieten dem Steinkauz gute Bedingungen zur Ansiedlung. Leider hat diese Art in den letzten Jahren in Europa starke Bestandeseinbussen erlitten, so auch in Luxemburg. Schuld ist der Lebensraumverlust durch die Siedlungserweiterungen, welchen die Ortschaft umgebenden Obstwiesen zum Opfer fielen, sowie die moderne Bauweise und die Intensivierung der Landwirtschaft. Früher fanden die Käuze Einschlupfmöglichkeiten bei altem Gemäuer.

Wendehälse besiedeln offene und halboffene klimatisch begünstigte Landschaften mit zumindest einzelnen Bäumen. Das Angebot an bestimmten Ameisenarten sowie Brutmöglichkeiten in Spechthöhlen oder natürlichen Baumhöhlen begrenzen das Vorkommen. Was für den Steinkauz gilt, gilt auch für den Wendehals: um die Nahrung erreichen zu können, darf die Gras- und Krautschicht nicht zu hoch sein.

Grünspecht (Picus viridis), ein typischer Bewohner unserer Bongerten.Der Grünspecht (Picus viridis) meißelt sich selber eine Höhle, meist in Stämme mit Fäulnisherden, er nimmt jedoch gerne Höhlen anderer Spechte an. Als so genannter Bodenspecht, stehen auf seinem Speiseplan vorwiegend Insekten und deren Larven, besonders Ameisen, die er mit seinem kräftigen Schnabel am Boden frei gräbt und mit der bis zu 10cm langen Zunge aufnimmt. Weiterhin stehen Würmer und Spinnen, weniger Früchte und Samen, auf dem Speiseplan.

Der Gartenrotschwanz (Phoenicurus phoenicurus) hat eine besondere Vorliebe für alte Obstgärten mit Höhlenangebot. Er ist stellvertretend für alle anderen Höhlenbewohner unter den Singvögeln, Nistkästen nimmt er aber auch bereitwillig an. Da seine Nahrungsgrundlage aus Insekten und Spinnen besteht, verbringt er die Wintermonate im westlichen und zentralen Afrika verbringen.

Der Grünspecht und der Gartenrotschwanz sind richtige Europäer, der Grossteil ihrer Populationen ist hier angesiedelt.

Eine weitere Vogelart findet in den bongertenreichen Gegenden Luxemburgs die höchsten Bestandesdichten. Es ist der Raubwürger (Lanius excubitor) der besonders oft anzutreffen ist im Moselhinterland, in der Umgebung von Junglinster und im Kanton Echternach. Die Obstbäume und Hecken bieten Warten für die Ansitzjagd und die kurzrasigen, beweideten, Flächen erlauben eine übersichtliche Jagd. Brutmöglichkeiten bieten sich oft in den Mistelballen, von denen es ja sehr viele gibt.

Sein kleiner Vetter, der Neuntöter (Lanius excubitor), profitiert ebenfalls vom reichen Nahrungsangebot der Bongerten.