Entwicklung des Obstbaus in Luxemburg

In Luxemburg spielten die Klöster bei der Entwicklung des Obstbaus, auch bei der Entwicklung von kleinkronigen Bäumen für Gärten, eine bedeutende Rolle. In Echternach waren es die Benediktinermönche, deren Kloster im Jahr 698 nach Chr. um die Grabstätte des heiligen Willibrord gegründet wurde. Sie förderten den Hochstammobstbau entlang der Sauer, einem Nebenfluss der Mosel. Etwas weiter nördlich waren es später (vermutlich ab dem 13. Jahrhundert) die Trinitarier in Vianden, die sich besonders um die Ausbreitung der Walnuss und des Birnenanbaues verdient machten. Letztere wurden in Backöfen getrocknet, um sie haltbar zu machen und den kärglichen Speisezettel der armen Bevölkerung zu bereichern. Bis zum 18. Jahrhundert entwickelte sich der Hochstammobstbau zunehmend zu einer Erwerbsquelle in der Landwirtschaft. Kartographisch wurden größere Obstbaumbestände, die “Bongerten”, bereits auf den militärischen Karten für die damalige österreichische Verwaltung des Compte Ferrari von 1776 dargestellt. Die ausgeprägtesten Bongerten gab es damals im “Gutland”, im heutigen Süden von Luxemburg. Hier waren die Boden- und Klimabedingungen günstiger als in den nördlich liegenden luxemburgischen Ardennen, dem “Ösling”.

 

Im 18. Jahrhundert waren es hauptsächlich Birnbäume, welche in den “Bongerten” dominierten. Mit der wachsenden Bedeutung der Kartoffel wurden die “Kachbiren” (Kochbirnen) und “gebaake Biren” (Dörrbirnen) jedoch nach und nach vom Speisezettel verdrängt. Vor allem Apfelbäume und in geringerem Maße Kirschen und Walnüsse gewannen an Bedeutung. Pflaumen, Zwetschgen, Renekloden und Mirabellen hielten hingegen erst gegen Mitte des 19. Jahrhunderts in größerem Umfang Einzug in unsere Bongerten.

Der Hochstamm blieb auch weiterhin die bedeutendste Baumform, da er eine Unternutzung als Weide oder Mähwiese erlaubte. Teilweise gab es auch Ackerbau (Getreide und Hackfrüchte) als Unterkultur. Im Winter 1879/80 waren infolge einer starken Frosteinwirkung große Schäden an den Obstbäumen entstanden, so dass über den neu gegründeten Landesobstbauverein Neupflanzungen angeregt wurden. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts gab es über einer Million Obstbäume in Luxemburg. Es handelte sich dabei vor allem um junge Bäume, welche, insbesondere zur Blütezeit eine einzigartige Augenweide bildeten. Buschbäume gab es auch schon zu dieser Zeit, allerdings gaben die Bauern in Luxemburg dieser kleinen Baumform keine Chance, da sie u.a. keine Unternutzung zuließ.

 Den wirtschaftlichen Höhepunkt erreichte der Hochstammobstbau in Luxemburg zu Beginn des 20. Jahrhunderts, kurz vor und während des 1. Weltkrieges. Da das Großherzogtum Mitglied des Deutschen Zollvereins war, konnten auf dem deutschen Markt gute Preise erzielt werden. So konnten im Jahre 1911 7.780 Tonnen Äpfel exportiert werden, welche mit der Bahn ausschließlich nach Deutschland gebracht wurden. Es dürfte sich hier um den Rheinischen Winterrambur gehandelt haben, der damals auch gerne “Luxemburger Rambour” genannt wurde und als gut transportfähiger Apfel beliebt war. Andere, bevorzugt vermehrte Sorten waren Koppestil (Rheinischer Krummstiel), Roter Eiserapfel, Roter u. Weißer Trierer Weinapfel, Baumanns Reinette, Schöner aus Boscoop, Jakob Lebel und Winter-Zitronenapfel. Bei den Birnen erfreuten sich vor allem die Pastorenbirne und Gellerts Butterbirne großer Beliebtheit. Infolge der Kündigung des Zollvertrages mit Deutschland 1918/19 und der dort herrschenden wirtschaftlichen Lage stellte sich heraus, dass ein wichtiges Absatzgebiet verloren gehen würde. Teilweise konnten die Obstexporte in der Zeit zwischen den Weltkriegen allerdings fortgesetzt werden. Durch die Gründung der Währungsunion mit Belgien im Jahr 1922 (belgisch-luxemburgischer Wirtschaftsvertrag) gab es neue Hoffnungen. Der Obstabsatz und die erforderlichen Qualitäten waren dann auch in dieser Zeit das Hauptthema auf den Versammlungen der Obstbauern.

 

Obstverarbeitung

Die Obsternten, besonders bei Hochstammobstbäumen, sind von Jahr zu Jahr sehr unterschiedlich, weshalb neben dem Lagern von Frischobst schon früh nach Möglichkeiten der Konservierung geforscht wurde.

Um in ertragsstarken Jahren besonders bei Äpfeln und Birnen Absatz zu finden, wurden bereits 1899 die ersten Versuche mit Reinzuchthefen zur Vergärung des Obstsaftes unternommen, da die bisherigen Qualitäten des “Viz” schlecht waren. 10 Jahre später erfolgte die Gründung einer Zentralkelterei in Ettelbrück durch den Landesobstbauverein, welche nach 17-jähriger Tätigkeit 404 Fuder gekeltert hat. Ab 1930 ging der Absatz von “Viz” beständig zurück.

Die Destillation von vergorenen Früchten diente in vielen Regionen Europas vornehmlich der Eigenversorgung mit Alkohol für diverse Zwecke, wurde aber im Laufe der Zeit zu einer begehrten Handelsware. Um den Alkoholkonsum etwas Einhalt zu gebieten, reglementierte der Staat den Absatz über Steuern und Brennereirechte. War es Ende des 19. Jahrhunderts vor allem Getreide, das vergoren und destilliert wurde, so war es in den letzten Jahrzehnten vor allem Obst. Der sortenreine Brand in exzellenter Qualität, wie z.B. “Neelchesbir,” erfreut sich beim Genießer große Beliebtheit. Die wenigen Brennereien, die es noch gibt, übernehmen auch heute noch eine größere Menge an Obst aus unseren Bongerten.

War die Süßmostherstellung bereits vor über 100 Jahren in der Schweiz bekannt, so wurde sie doch erst ab 1929 in Luxemburg propagiert. 1933 wurden bereits in 11 lokalen Obstabsatzgenossenschaften 11.700 Liter Süßmost hergestellt und bis Ende der 30er Jahre hatten sich einige professionelle Obst- und Traubensafthersteller etabliert. 1950 wurde eine Versuchsmosterei in Ettelbrück eingerichtet, welche bis 1963 in Betrieb war. In den 1950-er und 1960-er Jahren wurden in 6 Betrieben jährlich 1.000 bis 1.300 Tonnen einheimische Äpfel zu Saft verarbeitet. Leider stellten diese Betriebe ihre Produktion Ende der 60-er Jahre nach und nach ein. Erst Mitte der 80-er Jahre kam es zu einem “Revival” des Apfelsaftes. Grund hierfür war das gestiegene Umweltbewusstsein vieler Verbraucher, die gerne das Lohnmosten für ihre Äpfel in Anspruch nahmen und ein gesundes Getränk mit nach Hause nehmen konnten.

 

Von der Bongerten-Kultur zur Intensivplantage

Nach dem 2. Weltkrieg wurden die Bongerten in der freien Feldflur nach und nach vernachlässigt. Vor allem aus Belgien und Holland kamen zunehmend Äpfel und Birnen aus Niederstammplantagen auf den Markt. Diese aus England kommende Obstbauform hielt schnell Einzug auf dem europäischen Kontinent. Die Umstellung in Luxemburg erfolgte eher langsam und wurde ab den 1950-er Jahren vermehrt in der Beratung und Öffentlichkeitsarbeit der staatlichen Verwaltung sowie des Landesobstbauvereins propagiert. Im Kernobstbau, welche den Hauptanteil des luxemburgischen Obstbaus ausmachte, erfolgte gleichzeitig die Einführung neuer, “moderner” Sorten. Es wurde vor allem an der Mosel in flachen Lagen gepflanzt, wo damals noch nicht an die Anpflanzung mit Reben gedacht wurde. In den ersten Pflanzungen wurden folgende Sorten vorgesehen: James Grieve, Cox-Orange, Jonathan, Winterbanana, Golden Delicious, Ontario, Berlepsch, Wintergoldparmäne und Gravensteiner. Wegen der Kleinparzellierung an der Mosel und der damit kostenintensiven Anlage und Pflege blieb der Plantagenobstbau vorwiegend ein Nebenerwerbsobstbau. Leider konnten die geschaffenen genossenschaftlichen Strukturen im Anbau und in der Vermarktung in den 1950-er und 1960-er Jahren keinen anhaltenden Erfolg verbuchen. Des Weiteren konnte sich der luxemburgische Obstanbau nicht in dem seit 1967 eingeführten, liberalisierten EG-Obstmarkt behaupten, so dass in Luxemburg die Ausdehnung von Obstplantagen kaum mehr als 130 ha erreichte.

 

Der Niedergang der Hochstammobstbaukultur

Die älteste, zahlenmäßige Erfassung des luxemburgischen Obstbaues aus dem Jahr 1845 gibt eine Obstbaufläche von 707 ha an. Diese und weitere Daten stammen aus dem "Rapport général sur l'état de l'agriculture dans le Grand-Duché‚ de 1839 à 1889" (EUG. FISCHER, J.P.-P. KOLTZ, 1891). Für die Jahre 1865, 1875 und 1885 wird die Obstbaufläche mit 549 ha angegeben, 1889 mit 497 ha. Für diesen Zeitraum wird der durchschnittliche Wert eines Hektars Bongert mit 3.168 Franken angegeben (Zum Vergleich: 1865 kostet 1 ha Weingarten 7.684 Franken und 1 ha Ackerland 1.803 Franken). Diese Bewertung der Flächen wurde unter anderem aus steuerlichen Gründen durchgeführt. Die Gesamtzahl an Obstbäumen für ganz Luxemburg wird im Jahr 1879 mit 734.556 angegeben, 1889 mit 909.768.

Die "Obstbaumzählung vom Monat Oktober 1902" (Publikation der ständigen Kommission für Statistik, 1904) gibt einen Gesamtbestand an Obstbäumen von 1.289.043 an. Die ständige Kommission für Statistik im Großherzogtum Luxemburg erachtete es für wichtig, eine Obstbaumzählung (wie im benachbarten Deutschland) durchzuführen, welche dann auch durch ministeriellen Beschluss vom 30. September 1902 für alle Gemeinden des Landes angeordnet wurde.

Obwohl es ohne Zweifel die genaueste Erfassung des luxemburgischen Obstbaumbestandes bis zu diesem Zeitpunkt war, weist der Bericht auch auf die Schwierigkeiten bei der Durchführung einer solchen Arbeit hin; es heißt z.B.: "... so müssen wir andererseits doch eingestehen, dass andere Gemeinden die Sache recht oberflächlich betrieben und sich der Mühe entzogen, die von den einzelnen Besitzern gelieferten Angaben auf ihre Genauigkeit zu prüfen."

Neben diesen organisatorischen Schwierigkeiten bestand eine gewisse Skepsis und ein Misstrauen seitens der Obstbaumbesitzer, wie wir in der Publikation von 1904 nachlesen können: "Auch glauben wir nicht unerwähnt zu lassen, dass die bei vielen Obstbaumbesitzern vorherrschende Meinung, die Obstbaumzählung diene zur Ergänzung der gerade um dieselbe Zeit vorgenommene Katasterrevision, manche Nachfragen und Richtigstellungen erheischte; hielt man es doch im eigenen Interesse, möglichst niedrige Zahlen anzugeben. Nur mühsam gelang, letzteres Vorurteil zu bekämpfen."

Für die weitere Erfassung des Obstbaumbestandes in Luxemburg nutzte man die landwirtschaftliche Betriebszählung, in welcher bis 1950 auch noch die Hochstammobstbäume getrennt erfasst wurden.

Der Hochstammobstbau hat in den letzten Jahrzehnten seine wirtschaftliche Bedeutung weitgehend verloren und findet heute als Wirtschaftsobst (Süßmosterei, Brennerei) und begrenzt auch in der Eigenversorgung Verwendung. Dies hatte zur Folge, dass der Bestand an Hochstammobstbäumen, rapide abgenommen hat. Rodungsprämien seitens der EG in den 70-er Jahren beschleunigten diesen Prozess.

Der Gesamtbestand an Hochstammobstbäumen in Luxemburg wurde bei einer Zählung 1990 bis 1993 mit 245.782 bestimmt (siehe Tabelle, Hëllef fir d’Natur, 1993). Davon waren 117.311 Apfelbäume (48%), 17.741 Birnbäume (7%), 86.827 Pflaumenbäume (35%), 17.462 Kirschbäume (7%) und 6.441 Walnussbäume (3%). Gab es 1902 noch 631.638 Jungbäume (58% des damaligen Bestandes) und 474.228 Altbäume (42%), so waren es 1993 nur mehr 16.078 (7% ) Jungbäume.

Gesamtzahl der Hochstammobstbäume von Luxemburg 1993

Obstart Jungb.   Ertragsalter   Ruine Summe %
    zun. voll abn.      
Apfelbäume 6528   6311 54731 42065 7676 117311 48
Birnbäume 1357 1190 8690 5669 835 17741 7
Pflaumenbäume 4989 6973 46157 24381 4327 86827 35
Kirschbäume 2219 2509 9164 2828 742 17462 7
Walnussbäume 985 1355 3288 730 83 6441 3
Summe 6078 18338 122030 75673 13663 245782  
% 7 7 50 31 6    
               

 

Im Jahr 1993 standen im Gutland 93 % (228.911) aller Obstbäume; nur 7 % (16.871) der Obstbäume befanden sich im Ösling. Etwa 3 % (7.752) der erfassten Bäume standen entlang von Straßen, sei es als 1- oder 2-reihige Straßenbaumreihe, davon 7.274 im Gutland und 478 im Ösling. Im Jahr 1922 befanden sich insgesamt noch über 100.000 (!) Apfel- und Birnbäume entlang von Strassen, etwa gleichmäßig verteilt auf die Hauptobstarten Apfel, Birne und Zwetschge.

Die zukünftige Entwicklung des Hochstammobstbaumbestandes

Die Zahlen des Inventars zeigen, dass zur Erhaltung des luxemburgischen Hochstammobstbaues Neupflanzungen und deren fachgerechte Pflege dringend notwendig sind. Unterstützend kann hierbei das erhöhte Umweltbewusstsein der Bevölkerung wirken. Dies äußert sich in dem zunehmenden Engagement von Leuten und Gruppierungen (Naturschutz- und Gartenbauvereine, Syndicats d'Initiative, u.a.) in der konkreten Arbeit im Bongert, sei es um den Lebensraum als solchen zu fördern, oder um Obst in kleinem Umfang für den Eigenverbrauch zu produzieren.

Ein weiterer Anreiz ist die steigende Nachfrage nach naturnah produzierten und biologischen Lebensmitteln. Das Hochstammobst steht hier ganz hoch im Kurs, da üblicherweise keine chemisch-mineralischen Dünger und chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmittel angewendet werden. Die Zukunft wird zeigen, ob eine steigende Nachfrage nach Obstsäften, Obstwein, edlen Bränden oder sogar Tafelobst aus dem Hochstammobstbau die Bäuerinnen und Bauern sowie andere Bongertenbesitzer motivieren wird, Hochstammobstbau auch in Zukunft zu betreiben. Die finanzielle Unterstützung bei der Neupflanzung und bei der Pflege seitens des Umwelt- und Landwirtschaftsministeriums stellt hierbei eine wichtige Hilfe dar.